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Bestimmung von Erdrotationsschwankungen aus Abstandsmessungen zum Mond

GeoWerkstatt-Projekt des Monats November 2021

Projekt: Bestimmung von Erdrotationsschwankungen aus Abstandsmessungen zum Mond

Forschende: Dr.-Ing. Liliane Biskupek, M.Sc. Vishwa Vijay Singh, M.Sc. Mingyue Zhang, Prof. Dr.-Ing. Jürgen Müller

Projektidee: Nutzung aktueller hochgenauer Abstandsmessungen von der Erde zum Mond zur Bestimmung von Schwankungen in der Rotationsgeschwindigkeit der Erde

Laserentfernungsmessungen zum Mond seit 1969

Am 20. Juli 1969 installierten die Astronauten der Apollo 11 Raumfahrtmission der NASA den ersten Retro-Reflektor auf der Mondoberfläche und ermöglichten so ein neues geodätisches Messverfahren im Weltraum: die Abstandsmessung zwischen Erde und Mond mit Laserpulsen, engl. Lunar Laser Ranging (LLR). Bis 1972 wurden vier weitere Reflektoren zum Mond gebracht: zwei durch die Apollo 14 und Apollo 15 Missionen und zwei durch die sowjetischen Missionen Luna 17 und Luna 21. Auf der Erde sind nur wenige Observatorien in der Lage, LLR-Messungen durchzuführen. Aktuell liefern Beobachtungen das Projekt APOLLO (Apache Point Observatory Lunar Laser ranging Operation, Abb. 1) in New Mexico, USA, das Observatoire de la Côte d’Azur (OCA) in Grasse, Frankreich, sowie das deutsche Geodätische Observatorium in Wettzell im Bayerischen Wald.

Wie funktioniert das Lunar Laser Ranging-Messverfahren?

Das Prinzip von LLR besteht darin, kurze Laserpulse von einem Observatorium auf der Erde zu einem Reflektor auf dem Mond (Abb. 2) zu schicken, von wo sie zurück zur Erde reflektiert werden, und anhand der gemessenen Laufzeit die Entfernung zu bestimmen. Von April 1970 bis April 2021 wurden mehr als 28000 solcher Abstände gemessen, siehe Abb. 3. Diese werden mit dem Programmpaket LUNAR am Institut für Erdmessung analysiert. Die Messgenauigkeit von LLR hat sich von 1969 bis heute vom Meter- zum Millimeter-Bereich verbessert. Ebenso die Auswertegenauigkeit: Zu Beginn lag sie im Bereich von Dezimetern und beträgt jetzt nur noch knapp 1,5 cm.

© NASA/B. Hrybyk
Abb. 1: LLR Messung am Goddard Space Flight Center
© NASA
Abb. 2: Retroreflektor der Apollo 15 Mission.

Welche Größen lassen sich mit Lunar Laser Ranging bestimmen?

In der Auswertung der LLR-Daten werden verschiedene Modellparameter bestimmt und so Informationen über das Erde-Mond-System gewonnen. Ein paar Beispiele: Durch die Koordinaten der Reflektoren lässt sich ein mondfestes Referenzsystem mit einer Genauigkeit von etwa einem Dezimeter realisieren. Dies dient als Grundlage für Karten des Mondes oder zur Orientierung von Bildern der Mondoberfläche, die von lunaren Satelliten aus gemacht werden (z.B. mit dem Lunar Reconnaissance Orbiter). Positionen und Bewegungen der Observatorien auf der Erde lassen sich mit einer Genauigkeit von wenigen Zentimetern berechnen und können in die Realisierung des internationalen erdfesten Referenzrahmens (ITRF) einfließen.

Durch die langzeitstabile Bahn des Mondes sind außerdem Größen der Erdorientierung bestimmbar; das sind beispielsweise Bewegungen der Rotationsachse der Erde oder Schwankungen der Rotationsgeschwindigkeit. So führt etwa die Gezeitenreibung zwischen Erde und Mond zu einer kontinuierlichen Abnahme der Rotationsgeschwindigkeit der Erde und zugleich zu einer stetig anwachsenden Entfernung des Mondes von der Erde, die mit LLR das erste Mal direkt gemessen wurde. Der Mond entfernt sich jedes Jahr um etwa 3,8 cm von der Erde.

Weiterhin stellt das Erde-Mond-System mit seinen großen Massen und der langen Beobachtungszeitreihe ein einzigartiges natürliches Labor dar, mit dem die Einstein’sche Relativitätstheorie mit extrem hoher Genauigkeit überprüft werden kann. Bislang hat Einstein alle Tests mit Bravour bestanden.

© Ife
Abb. 3: Anzahl der LLR Beobachtungen pro Jahr, die von den verschiedenen Observatorien durchgeführt wurden, insgesamt 28000.
© Ife
Abb. 4: Rotationsschwankungen UT1-UTC aus der kombinierten Erdrotationslösung IERS C04
© Ife
Abb. 5: Genauigkeiten geschätzter ΔUT Werte aus LLR Daten und der Median der Genauigkeiten

Warum eignet sich infrarotes Licht für das Messverfahren besser als grünes Licht?

Seit 2015 werden von den Observatorien OCA und Wettzell regelmäßig Entfernungsmessungen mit infraroten Wellenlängen durchgeführt, zuvor wurde grünes Licht verwendet. Dadurch ist es möglich, auch Messungen während der Neu- und Vollmondphasen durchzuführen. Dies führt dazu, dass der Verlauf der Mondbahn viel besser erfasst werden kann. Außerdem ist es möglich mit den Messungen im infraroten Bereich alle Reflektoren nahezu gleichmäßig oft anzumessen, auch diejenigen, die sonst ein eher schwaches Signal zur Erde zurücksenden. Diese Verbesserungen wirken sich positiv in der Auswertung aus. Als weiterer positiver Punkt ist zu nennen, dass nun allgemein mehr Entfernungsmessungen pro Nacht durchgeführt werden können und somit für die Bestimmung von Erdrotationsschwankungen eine größere Datenbasis zur Verfügung steht.

Wie genau kann man die Erdrotationsschwankungen mit Lunar Laser Ranging bestimmen?

Im aktuellen Projekt am IfE geht es darum zu untersuchen, welchen positiven Einfluss diese hochgenauen infraroten Beobachtungen bei der Bestimmung von Erdrotationparametern haben. Zu den Erdrotationsparametern zählen einerseits die terrestrischen Polkoordinaten, die den variierenden Durchstoßpunkt der Rotationsachse auf der Erde angeben, und andererseits die Parameter UT1-UTC bzw. LOD, die sich auf die Rotationsschwankungen der Erde beziehen, siehe Abb. 4. Aus der Analyse der LLR-Daten erhält man etwa Korrekturwerte ΔUT zu den vorher genutzten a-priori Werten für die Erdrotationsschwankung UT1-UTC. Durch die hochgenauen infraroten Beobachtungen werden nun höhere Genauigkeiten für die Erdrotationswerte ΔUT erreicht (siehe Abb. 5; 20 µs entsprechen ca. 1 cm auf der Erdoberfläche). Unsere ΔUT-Ergebnisse sind mit denen von VLBI (Interferometrie auf langen Basislinien) vergleichbar, das ja bislang das einzige Messverfahren zur Bestimmung von ΔUT ist. Unsere LLR-Ergebnisse für ΔUT können somit zur Validierung der VLBI-Ergebnisse bzw. zur Kombination herangezogen werden.